Alles in Scherben

Der folgende, sehr persönliche Text, wurde von einem Menschen geschrieben, den unser ehrenamtlicher Hopsizdienst durch eine schwierige Zeit begleitet hat. Wir danken für diese Zeilen
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Gerade jetzt habe ich wieder einen Kloß im Hals, wenn ich an das halbe Jahr zurückdenke, dass uns nach der Diagnose -Gehirntumor- noch blieb.
18 Monate wurden meinem Mann gesagt. Aber es sollte anders kommen. Viel schlimmer als ich es je für möglich gehalten hätte und viel schneller. Ein Schock für uns, für meinen Mann. Alles lag plötzlich in Scherben, unser ganzes Leben, unsere gemeinsame Zukunft.
Und die Frage, wie sollen wir es den Kindern sagen. Wie soll man ihnen sagen, dass sie ihren Papa verlieren werden, weil er so schwer krank ist? Weil er einen Gehirntumor hat, der ihn verändern wird, der ihm das Leben nehmen wird?
Die erste Zeit bekam mein Mann Chemo und Bestrahlung. Am Anfang klappte alles noch »recht gut«. Dann fingen die Krämpfe an, öfter, schlimmer! Es ging ab ins Krankenhaus, auf die Palliativstation. Ich hatte noch nie von so einer Station gehört, wusste nicht, was mich erwartet.
Seine letzten beiden Lebensmonate auf der Palliativstation waren schwer. Er hatte einfach keine Kraft mehr zum Kämpfen.
Er starb jeden Tag ein bisschen mehr. Konnte nicht allein essen, trinken, auch telefonieren war nicht mehr möglich. Und ich konnte nichts machen, nur bei ihm sein. Ich krabbelte zu ihm ins Bett, streichelte ihn, hielt ihn und er hielt mich, ja das tat er tatsächlich.
Ich habe seine Nähe, jedes liebe Wort, was ich verstehen konnte, jede noch so kleine Berührung, jeden Kuss und jeden tiefen Blick in seine wunderschönen Augen wie ein Schwamm aufgesaugt, weil ich wusste, wir haben nicht mehr viel Zeit zusammen.
Ich wollte meinen geliebten Mann nicht mehr allein lassen und doch musste ich außerhalb der Klinik noch einiges erledigen, da ging ja das Leben weiter. Da kam zum Glück Frau M. , die Koordinatorin des Ambulanten Hospizdienstes.
Sie sah uns beide im Bett liegen und spürte schon, dass ich kurz vorm Zusammenbrechen war. Ich brauchte etwas Zeit, Zeit, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Zeit, um Behördengänge zu erledigen. Frau M. bot mir Hilfe an. Sie erzählte mir von ihrer Arbeit und den Möglichkeiten mir zu helfen. Sie hatte gleich eine bestimmte ehrenamtliche Hospizbegleiterin im Sinn. Sie würde zu mir passen, zu uns passen. Und so war es auch. Frau S.W. war mein persönlicher Engel in dieser Zeit auf der Palliativstation.
Wir unterhielten uns und waren uns sofort sympathisch. Sie bot mir an meiner Stelle an, bei meinem Mann zu bleiben. So konnte ich auch mal gehen, ohne mich schlecht zu fühlen.
Sie sorgte sich auch sehr um mich. Sie sah sofort, dass ich kaum etwas zu mir nahm. Ich habe viel abgenommen und sah elend aus. Sie schlug vor, zusammen etwas essen zu gehen, nur damit ich es einfach tat, etwas essen.
Sie hat meinem Mann vorgelesen oder war einfach nur im Zimmer, damit er merkte, er ist nicht allein.
Als mein Mann dann für immer die Augen schloss, lag eine Beileidskarte im Briefkasten.
Noch heute bin ich ihr sehr, sehr dankbar für alles. Fürs da sein, zusammen schweigen, miteinander reden, auch über ganz normale Dinge wie zum Beispiel über unsere Familien, unser Leben. Aber vor allem danke ich ihr, dass sie mir mein schlechtes Gewissen genommen hat. Das schlechte Gewissen, meinen Mann allein zu lassen. Sie war mir eine große Stütze.
Auch Frau M. danke ich sehr. Sie wusste genau wer für mich, für uns die richtige Ehrenamtliche sein kann und ich danke ihr für ihren kurzen aber dennoch ganz intensiven Blick in meine Seele. Sie spürte sofort, wie es um mich steht, um meine Kräfte, die täglich schwanden.
Noch heute gehe ich zu meinen regelmäßigen Trauergesprächen bei Frau M., die mir so unendlich guttun. Seit dem Frühjahr gehe ich zusätzlich in eine Trauergruppe der Wichern Diakonie. Wir, das sind 7 Menschen, die einen geliebten Teil ihres Lebens verloren haben. Die sich oft allein und zurückgelassen fühlen. Die manchmal am Verzweifeln sind und am Boden liegen. Aber mittlerweile auch mal etwas wie Freude oder Glück spüren können. Wir tanken miteinander Kraft und Zuversicht für die immer mal wieder schweren Momente. Wir haben ein liebes Miteinander. Es gibt ein Gefühl von aufgehoben sein, verstanden werden auch ohne Worte und etwas wie Vertrautheit, von Anfang an.
Diese Zeit ist unser Raum, alles bleibt dort, unsere Geschichten, unsere Gedanken, unsere Gefühle, einfach alles, was wir mal aussprechen wollen und auch mal müssen, wie in einem Kokon sicher eingehüllt. Es redet sich leichter bei Kerzenlicht, Kaffee, Tee und Kuchen.
Und so ist es dann auch. Jeden dritten Dienstag im Monat treffen wir uns in unserem kleinen, sicheren Kokon.
Mir persönlich tut es sehr gut. Ich wollte von Anfang an mit anderen sprechen, die auch eine Trauer erleben. Wollte wissen, wie es ihnen geht, wie sie sich fühlen. Ich war plötzlich nicht mehr allein mit meiner Trauer.
Meinen Mann kann mir keiner zurückbringen. Aber wir können darüber reden ...
Vielen Dank, liebe Frau M.
D. G.