Erster Schichtwechsel

Eigentlich geht es für Carol-Ann Blankenfeld jeden Morgen in der Arbeitswoche in ihr Büro in die Agentur für Arbeit. Am vergangenen Donnerstag war das anders. Die Gronenfelder Werkstätten waren das Ziel ihres morgendlichen Arbeitsweges. Schon auf dem Parkplatz trifft sie eine weitere Kollegin der Agentur für Arbeit und zwei vom ärztlich medizinischen Dienst derselben Agentur.

 Der Geschäftsführer der Gronenfelder Werkstätten, Jens Walsdorf, empfängt sie freundlich mit einem Kaffee, es ist jedoch kein üblicher Arbeitsbesuch.

„Schichtwechsel“ heißt das bundesweite Projekt, das einmal jährlich stattfindet, in diesem Jahr am 10.10. und an dem sich erstmals auch die Werkstatt der Wichern Diakonie beteiligte. 2017 gab es diese Aktion erstmals, ausgehend von Berliner Werkstätten für behinderte Menschen. Jens Walsdorf selbst hat die Aktion dort mit initiiert. „Am Anfang war es wirklich schwer, Menschen zu begeistern, für einen Tag in einer Werkstatt zu arbeiten“, erinnert er sich. Im Jahr 2023 waren es bundesweit bereits mehr als 3.000 Schichtwechsler. „Wir wollen einfach zeigen, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderungen keine exklusiven Orte sind, sondern allen Menschen den Raum bieten, sich am Arbeitsleben zu beteiligen und natürlich auch unsere Arbeit präsentieren“, so der Geschäftsführer.

Andersherum wurden auch einige Beschäftigte der Werkstätten an Frankfurter Firmen und Institutionen vermittelt, ebenfalls für einen Tag. So haben sich die Polizeiinspektion Ost, das City-Residence Hotel am Bahnhof, Foto Schwenzer, das Stadtarchiv, der Stadtsportbund und die Agentur für Arbeit bereit erklärt, Beschäftigte der Werkstätten in ihre Arbeit einzubeziehen. Auch Bürgermeister Claus Junghanns folgte der Einladung und wurde in das Team des Feldbaus eingeteilt. Zusammen mit den Beschäftigten sitzt er auf dem Hof auf grünen Plastikkisten, während alle einen riesigen Berg Möhren bearbeiten, der gerade wenige Meter weiter aus der Erde geholt wurde. Von allen Möhren muss das Grün ab, damit sie eingelagert werden können. „Wenn ich das nächste Mal hier im Bioladen einkaufen gehe, werde ich zu den Möhren ein ganz anderes Verhältnis haben“, lacht er. In der Runde wird er wie jeder andere behandelt. Als sich die Hofhündin an ihn schmiegt und um Streicheleinheiten bittet, hat er die Lacher auf seiner Seite. „Es macht Spaß, das auch mal von der anderen Seite kennenzulernen“, zieht er sein Resümee.

Genau das empfindet auch Carol-Ann Blankenfeld. Vor allem ist sie von der herzlichen Aufnahme begeistert. „Viele haben mir ihre Freude mitgeteilt, dass ich heute hier arbeite“, lächelt sie. Dass man schnell auch als Besucher ins Team integriert wird, merkt ihre Kollegin Nicole Schulz, die in der Gemüseaufbereitung arbeitet. Für viele hunderte Essen, die in Gronenfelde gekocht werden, ist dies die Vorstation: Kartoffeln schälen, Salat zubereiten, Paprika schnippeln. Ihre Kollegen für einen Tag freuen sich riesig, dass sie zusammen ein Foto machen können. Es wird gescherzt und gelacht. Derweil lernt Andrea Hesse vom ärztlichen Dienst der Agentur viel über das Korn mahlen in der Bäckerei des Bioladens. Eigentlich war sie in der Gärtnerei vorgesehen, aber wegen des Wetters ist sie in der trockenen Backstube. Ein kleines Lächeln huscht bei dieser Nachricht über ihr Gesicht. „Die Bäckerei ist spannender“, findet sie. „Ich bin wirklich überrascht, wie viel Hintergrundwissen mir über das Korn mahlen hier vermittelt wird. Im Büro beschäftigen wir uns mit den Akten, hier sehen wir auch die Menschen dazu“, freut sie sich.

Für die acht Beschäftigten der Werkstätten ist es ebenfalls ein ereignisreicher Tag. Michael Schmidt und Kevin Sachse etwa sind im Stadtarchiv eingesetzt. Deren Leiter, Denny Becker, erklärt die Aufgabe: Für das Archiv müssen alte Akten von ihren alten Heftern in säurefreie Schutzverpackungen umgelagert werden. Klingt einfach, ist aber mit vielen Handgriffen verbunden. Beim Einscannen geht es vermeintlich etwas ruhiger zu, aber auch hier ist Konzentration vonnöten. Keiner, so viel steht fest, geht ohne neue Eindrücke in den Feierabend. Die ersten Firmen haben jedenfalls schon für das nächste Jahr den Schichtwechsel zugesagt.

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